1953/54: Jugendbuchreihe "Blüchert Bücher" | |||
10 Titel. Jedes Buch enthält 8 Abbildungen, manchmal noch Karten oder Konstruktionszeichnungen. Zwei
Einbandvarianten (mit identischen Buchblöcken): Pappband oder Halbleinen (laut Verlagsprospekt von 1953 "lackierter Überzug"). Die Bandnummern sind auf den Rücken aufgedruckt (ausser einer Variante von Bd. 2, der 3. Auflage von Bd. 3 sowie Lizenzausgaben). Bei den Lohse-Erstausgaben sind die Spiegelblätter bedruckt, als wären
es Innenklappen von Schutzumschlägen (zugleich ein Indiz dafür, dass
eigentliche Schutzumschläge gar nicht vorgesehen waren). Zu der Reihe schreibt der Blüchert-Verlag (nach BJB Bd. 6, um 1955): "Diese Jugendbücher haben sehr schnell die volle Zustimmung der Jugend gefunden. Dadurch, daß ihre Leser sie mündlich weiter empfahlen, haben einzelne Titel [Band 3] bereits in Auflagen von 40 000 und mehr Exemplaren Verbreitung. Sie sind geschmackvoll gebunden und eignen sich mit ihren vierfarbigen Titelbildern besonders gut zum kleinen Geschenk" (folgt eine Liste mit den Preisen. Die vier Tannenhof-Bände sind hier als zur Reihe gehörig mitgezählt). – Auf dem hinteren Spiegelblatt von Band 3 steht über die "Blüchert-Bücher": "Die Ausgaben in dieser Reihe zeichnen sich aus durch hervorragende Ausstattung, gute Autoren, begabte Illustratoren, hohe Auflagen und daher erschwingliche Preise aus". Im demselben Band beachte bei der Besprechung von Band 3: "Teufelsfahrt durch Mexiko ist eine der schärfsten Waffen gegen Schmutz und Schund". (Anm.: Am 9. Juni 1953 war gerade das auf die Weimarer Republik zurückgehende "Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften" erneuert worden, begleitet von viel beachteter journalistischer Polemik). rechts: Buchanzeige aus "Leitschienenbahn" (1953) | |||
Format 13 x 19 cm; 64 bis 112 Seiten. | |||
Neupreise | Druckereien | ||
1-6; 10: DM 2.30/Sfr. 2.75 7-9: DM 3.30/Sfr. 3.95 | 1-6; 10: DM 1.95/Sfr. 2.35 7-9: DM 2.95/Sfr. 3.55 | K. G. Lohse, Frankfurt am Main | |
Halbleinen | Pappband | Zechnersche Buchdruckerei, Speyer | |
Band 1 1953 | Baumbach,Werner: Zwei Jungen werden Flieger | ||
Band 2 1953 | Ecke-Siebold, Erich: Wilderer im Moor | ||
Band 3 1953 | Kling, Karl; Molter, Günther: Teufelsfahrt durch Mexiko (1. Auflage 1. - 15. Tausend) | ||
2. Auflage 16. - 40. Tausend | |||
3. Auflage 41. - 45. Tausend | |||
Band 4 1953 | Riebau, Hans: Der Tolpatsch | ||
Band 5 1953 | Baraniecki, Robert L.: Achtung! Geheimsender… | ||
Band 6 1953 | Knesebeck, Hertha von dem: Klaus wird Filmstar | ||
Band 7 1953 | Fall, Eddy: Flucht aus Peking | ||
Band 8 1953 | Forell, Fritz von: Der letzte Schuß am Bärensee | ||
Band 9 1953 | Molter, Günther: Bravo, kleiner Caballero | ||
Band 10 1954 | Baumbach, Werner: Zwei Jungen fliegen nach Italien | ||
Die
vier Bände der Tannenhofreihe (1954/55) sind in Format und Ausstattung
gleich wie die zehn Bände der Blüchert Bücher und wurden
in einer Liste in Band 6 der Taschenbuchreihe Blücherts
Jugend-Bücherei zusammen mit diesen aufgelistet. | |||
Persönlicher Kommentar und ein bisschen Polemik: Inwieweit die kleinen Bändchen der Reihe "Blüchert-Bücher" wirklich von der "Schmutz und Schund"-Initiative von 1953 beeinflusst waren, lässt sich ohne Mitschriften der damaligen Redaktionssitzungen oder entsprechender Korrespondenzen nicht mehr feststellen. Tatsache ist, dass damals in verschiedenen Verlagen ähnliche Bändchen mit "nützlichem", abenteuerlichem und amüsantem Inhalt in ähnlicher Aufmachung erschienen. Der Hoch-Verlag legte die Reihe "Hoch-Bändchen" vor (18 Titel, ca. 1953-1955), der Boje-Verlag die Taschenbuchreihe "Boje Zwerg-Bücherei" mit Leinenrücken (14 Titel, 1953-1956; pro Band DM 1,20), dazu kamen die zahlreichen Titel des Franz Schneider-Verlags und der Göttinger Jugend-Bücher des W. Fischer-Verlags. Dass in solchen Schriften immer wieder auf den Unterschied zwischen "richtigem Schrifttum" und sogenannten "Groschenromanen" aufmerksam gemacht wurde (z.B. auch in den dänischen "Detektiv Jan"-Geschichten, die damals auf deutsch im Albert Müller Verlag Rüschlikon erschienen), war wohl letztlich ebenso erfolglos wie der Versuch, eine Grenze zwischen "klassischer" und "Unterhaltungsmusik" ziehen zu wollen. Es ist hingegen amüsant zu lesen, wie sich die Autoren in diesen Büchern bemühten, ihre blonden, blauäugigen Helden mit "gesunden" Werten auszustatten und z.B. bei jeder Gelegenheit über dekadente "Tangojünglinge" und über den Jazz als "diese Negermusik" spotten zu lassen. Die Helden der 50er-Jahre waren braungebrannt, sportlich und opferbereit. Die Autoren von Jugendbüchern jener Zeit sahen ihre Aufgabe vor allem darin, Vorbilder hinzustellen. Für Jungen waren Wildwestgeschichten, fremde Länder und Weltraumreisen vorgesehen. Für Mädchen hielt sich noch bis in die Sechzigerjahre hartnäckig der aus den 20er-Jahren stammende Typus der sie auf die Rolle der Mutter und Hausfrau vorbereitenden "sentimentalen Jungmädchenbücher", begleitet von Tier- (vor allem Pferde-) Büchern. Die Zementierung von Geschlechterrollen musste früher und später zum Widerstand führen: Die Jungs verfolgten die Verbrecher, die Mädels kicherten und wuschen das Geschirr ab. In den Sechzigerjahre geriet das Jugendschriftenwesen der Nachkriegszeit erheblich ins Wanken. Als Kind dieser Zeit sind mir zwei Erscheinungen besonders lebhaft in Erinnerung geblieben: Das unmögliche Benehmen von Pippi Langstrumpf bei einem Kaffeekränzchen (das Buch war schon 1945 erschienen, die Verfilmung aber erst 1969), und erwachsene Illustratoren, die versuchten, wie Kinder zu zeichnen. Beides war mir als Kind zuwider. Ich wollte, dass kindliche Anarchie nicht von Erwachsenen vorgelebt wurde und dass Erwachsene wie Erwachsene malten. In den Achzigerjahren kam die "Unendliche Geschichte". Darin beklagte sich der junge Held darüber, dass ihn die alten Kinderbücher alle "zu etwas bringen" wollten, anstatt einfach eine Geschichte zu erzählen (was damals auch ein Credo vieler Hollywood-Produktionen war). Spätestens als Michael Ende den amerikanischen Phantasyfilm über sein Buch sah, muss ihm klargeworden sein, dass die verstaubten Morallehren der klassischen Kinderbücher auch ihre Reize hatten. Die "neuen Werte" schienen vor allem darin zu bestehen, die Kinder zu unkritischen Konsumenten zu erziehen und dafür zu sorgen, dass sie die filmbegleitende Merchandise kauften (Star Wars! Jurassic Park!) und jede neue Franchise bis in immer idiotischer werdende Fortsetzungen mitfinanzierten. Die inhaltliche Beliebigkeit wurde begleitet von einer jahrzehntelangen Krise der gestalterischen Leistung bei der Kinderbuchherstellung: Möglichst bunt auf grellweisses Papier gedruckt, dieses so dick wie möglich, so dass es nach mehr aussah, als es war, aber nur gelumbeckt ("gebunden"), so dass es bald auseinanderfiel, der Einband ein wandelndes Werbeplakat. Glücklicherweise haben manche Verlage durch das liebevolle Festhalten an der buchgestalterischen Sorgfalt der 50er- und 60er-Jahre auch noch 1990 schöne Bücher gemacht. Der Rest ist Altmännergejammer. Geniessen wir die "Blüchert-Bücher" von 1953 wie einen schönen Oldtimer: Qualitätsware trotz Materialknappheit, sorgfältige Verarbeitung bei massvollster Kalkulation, liebevoll handgemachte, erwachsene Zeichnungen (klicken Sie einmal in die Vergrösserung von Band 3, 5 und 10: soviel Licht! Und die handschriftlichen Titelzeilen wären noch heute zeitgemäss). Die Geschichten: Schon ein bisschen altmodisch, aber ohne das eitle Geschwätz, unter dem so viele Bücher für Erwachsene leiden. KPS 14. September 2018 |